Schon Donnerstag. Die Zeit vergeht im Schönen wie immer wie im Flug. Wir passieren gerade mit unserer Gib Sea 372 den respektablen vierkantigen Turm des Hafenkapitäns von Puerto Mogan. Der Ort hat etwas Authentisches wenn auch nicht alle Häuser so alt sind, wie sie scheinen, so unterscheidet er sich wohltuend von den zig Stockwerke hohen Touristenbetonburgen an der östlich von Mogan gelegenen Südküste Gran Canarias.
An Bord Manfred der Skipper. Seine kernige Kommandosprache haben wir in den letzten Tagen auf der Überfahrt nach Teneriffa kennen und lieben gelernt. Wenn es darauf ankommt, ist ziemlich kurz gehalten, was zu tun ist. Es wird nicht geschrieen, aber jeder an Bord, den es angeht, hört es. Sonst ist immer ein nettes Schwätzchen drinnen und wenn die Verständigungsschwierigkeiten überwunden sind, ist es schon bemerkenswert, wie nahe sich doch Hamburger und Wiener "Schmäh" doch sind.
Raus geht es heute mit einem klaren Ziel. Morgen kommt der DSV-Prüfer. Wir beiden Ösis nutzen - letztlich selbst noch in Ausbildung – die Prüfungssituation um den Stress davor bei den drei Prüflingen mitzuerleben. Klarer Himmel mit zwanzig Grad Lufttemperatur, angenehme zwei bis drei Windstärken und praktisch keine Welle in Lee der Insel sind optimale Bedingungen um das Boje-Über-Bord Prüfungsmanöver endlich hin zu bekommen, das einfach nicht so recht schulmäßig klappen will.
Die Vorgabe ist hart, Manfred hat es uns erst gestern bei einer guten fünf und entsprechender Welle vorgeführt. Nie den Sichtkontakt verloren, entspanntes Einzählen der Entfernung, stressfreie Halse, Annäherung nahezu am Wind, Schoten auf und schon wird der Fender auf Höhe des Cockpits bei stehendem Schiff einfach an Bord geholt.
Der Erste ist an der Reihe. Fender raus, Sichtwache besetzt, Entfernung gut, Halse auch passabel. Wenn jetzt nur noch das Schiff zum Stehen kommen würde. Bei glattem Wasser läuft es ewig, da hilft jetzt nur ein gezielter Lanzenstoß mit dem Bootshaken, der mit Glück das Knotenauge am Fender findet. Über zwei Knoten Fahrt sind einfach zu viel. Also gleich noch einmal.
Doch dort, winkt uns da etwas aus dem Wasser? Gleich dran ein aus der Entfernung nicht erkennbares schwarzes Irgendwas.
Wir halten drauf zu und ... ganz klar, es ist die Vorderflosse einer Meeresschildkröte – eine Tortuga Boba, so die Einheimischen- die da winkt.
Auch aus der Entfernung einer knappen Kabellänge ist klar, das Winken ist keine freundliche Geste für Touristen. Das Training ist jetzt vorbei. Manfred übernimmt das Ruder, Maschine an, Genua weg, Groß dicht und Annäherung aus Lee. In ausreichender Entfernung ein kurzer Rückwärtsschub mit der Maschine und wir kommen im Leerlauf mit dem letzten Auslaufen knapp vor der Höhe des Heckspiegels neben der Karettschildkröte zum Stehen.
Das Tier kämpft um sein Leben. Es hat sich mit der rechten Vorderflosse in das Knäuel eines Fischernetzes – offensichtlich den Schwimmleinenteil – verfangen und versucht mit allen Kräften abzutauchen. Doch keine Chance, das Knäuel hat viel Auftrieb und mit einer Flosse über Wasser. Wahrscheinlich hat sie es eine Zeit lang geschafft zu tauchen und gegen an gekämpft, um nicht von Strömungen vertrieben zu werden.
Sie treibt jetzt abwartend ruhiger neben uns. Mit dem Bootshaken bekommen wir das Leinenknäuel leicht zu fassen. Jetzt nur nicht anreißen, sonst gibt es noch Beinbruch.
Behutsam zeihen wir die Schildkröte zum Spiegel um sie dort direkt aus dem Wasser zu holen.
Nicht einfach sie zu fassen zu kriegen, mit einer Hand unmöglich. Am Hosenbund durch die Crew gesichert, kann ich sie an beiden Seiten des Panzers nehmen und an Bord heben.
Kopf bis Schwanz etwa 35 Zentimeter und geschätzte sieben Kilogramm schwer, unglaublich, wie lange eine Schildkröte den Hals strecken kann. Und wir tun gut daran, die Hände von ihrem Maul fernzuhalten, wir können uns gut vorstellen, was mit dem Finger, den sie ins Maul bekommt, passieren würde.
Ein schneller Schnitt mit dem Segelmesser und das Fischernetz ist entfernt. Ein ordentlicher Packen mit kaum Gewicht ist für eine Schildkröte auf die Dauer ein unüberwindbarer Auftriebskörper, der sie hindert, in ihre Welt abzutauchen.
Die Freude der einfachen Befreiung ist nur eine kurze. Jetzt sehen wir erst, was es der Schild-kröte unmöglich gemacht hat, sich von dem Netz zu befreien. Eine wesentlich dünnere Leine als die anderen hat sich um eng um ihre Vorderflosse geschlungen. Dort ist die Flosse vielleicht auf die Hälfte des Umfangs zusammen geschnürt.
Mit dem Messer ist wegen der Verletzungsgefahr nichts zu machen, die spitze Nagelschere wird es wohl auch nicht tun. Schön, wie schnell wir eine Schere mit abgerundeter Spitze und trotzdem scharf zu Hand haben.
Die Schildkröte ist ruhiger geworden, auch kein Schnappen, viel mehr aufmerksames Zusehen, als ich die Leine leicht von ihrer Haut abhebe und mit der Schere von ihrer Flosse trennen kann.
Die Haut unter der Leine ist vollkommen weiß wie in den Hautfalten. Sie muss das Netz schon einige Zeit mit sich umher ziehen. Aber keine Wunde oder Entzündung und kein Bruch in der Flosse, wie sie jetzt wieder mit Gestrampel vehement deutlich macht. Es reicht ihr jetzt. Sie spürt offenbar, dass die Einschnürung auch dahin ist und fordert, was ihr zusteht.
Ich lege sie behutsam zurück ins Wasser. Ein paar Schwimmtempi mit allen Vieren noch nahe der Wasseroberfläche und dann geht es mit kräftigen ab in die Tiefe.
Kein Wort an Bord. Manfred übergibt das Ruder und bedeutet in Richtung Hafen zur Pause. Unser Bericht des "Vorfalls" beim Hafenkapitän, wird von ihm zufrieden und sorgsam in einen Meldung gefasst. Zusammen mit den freilich nur wenigen Fotos wird er unsere Meldung an das Centro de Recuperacion, in Tarifa auf Gran Canaria weiterleiten. Ein leises Nicken und Handzeichen aus der Hüfte des Hafenkapitäns war uns bei den nächsten Ausfahrten sicher.